
...hatten die Druckereien H. M. Hauschild und Werbedruck Bremen zusammen etwa 50 Schriften. Damals hatte Werbedruck Bremen - das war auch der Zahlungsgeber - neben Carl Schünemann und dem Weser Kurier die größte Setzerei in Bremen. Das hört sich im ersten Moment nicht sehr viel an, aber der Platz der dafür gebraucht wurde war immens. Außerdem waren oft mehrere Schnitte und Schriftgrade einer Schrift vorhanden - und für jeden Schriftgrad einen Kasten. Zum Beispiel die Neuzeit-Grotesk. Sie gab es in leicht, mager, halbfett, licht und kursiv. Die Schriftgröße begann bei 8 Punkt, dann 10p, 12p, 16p, 20p. Als ich 1973 anfing zu lernen hatten wir fünf Gassen und ebenso viele Setzer - später steigerten sie sich sogar auf sieben; im Nachhinein betrachtet eigentlich unmöglich, weil es da schon längst mit dem Handsatz zu Ende ging. Eine Gasse bildeten zwei Schriftregale, die mit der Rückseite zueinander standen. Der Raum in den Gassen war mindestens 2,50 m breit. Das kann sich heute niemand mehr vorstellen. Die Gassen mussten so breit sein, denn wenn man einen der schweren Schriftkästen aus dem Regal hob, musste man sich damit drehen und den Schriftkasten auf die Arbeitsplatte gegenüber wuchten. Die Lettern waren alle aus Blei; erst in den größeren Schriftgraden (etwa ab 20 Cicero) waren sie aus Holz. Lettern aus Kunststoff waren eher die Ausnahme. So wiegt zB ein Satz - so nennt man eine druckfertige Seite - im Format 19 x 25 cm satte 10 Kilo!
Das obige Foto zeigt mich an meinem Arbeitsplatz. Das untere Foto dagegen ist älter. Man sieht neben mir den Buchdrucker Otto Wiemeyer.
Ich zitiere einen Absatz vom "Stein der Weisen" aus dem Jahre 1889: Die Mechanik des Setzens besteht darin, daß der Setzer, nachdem er mehrere Wörter des Manuskriptes gelesen und sich gemerkt hat, die Buchstaben den Fächern des Schriftkastens entnimmt und in einen Winkelhaken legt, wobei natürlich darauf zu achten ist, daß die einzelnen Buchstaben die richtige Lage zueinander einnehmen. Das lässt sich anhand der Signatur (Rillen im Buchstaben) schnell feststellen. Die Fertigkeit des Setzers beruht also auf der Schnelligkeit des Blicks auf das vor ihm aufgehängte Manuskriptblatt und der Hand. Die Übung bringt es mit sich, daß ein flinker Setzer eine sehr erhebliche Leistungsfähigkeit in dieser im Großen und Ganzen rein mechanischen Arbeit erzielt.
Ach, und erst die Linien... Die Linien waren alle bis auf wenige Ausnahmen aus Messing und lagen in den Dickten 1p, 2p, 3p, 4p, 6p, 12p, 2 Cicero und 3 oder 4 Cicero vor. Und zu guter letzt kam das Füllmaterial, das sich zwischen den Buchstaben befand. Alles musste reichlich vorhanden sein und rechtwinklig ausgeschlossen werden, damit der Drucker die Druckform schadlos hochheben und in die Druckmaschine heben konnte. War dies mal nicht der Fall, klöterte der ganze Satz auf den Boden und der Setzer musste alles neu machen. Kaputtgegangene Buchstaben konnten nicht ersetzt werden und kamen in spezielle Blecheimer. Der Inhalt wurde gesammelt und wieder eingeschmolzen. Ich habe das damals aber nie erlebt. Ich habe immer noch das Bild vor Augen, als ich in der Rigaer Straße - dort begann ich meine Lehre - auf die vollen Blecheimer mit gekippten Schriften blickte. Lediglich das Abfallblei de Setzmaschine wurde zu neuen Stangen eingschmolzen.
Heute habe ich hier zuhause fast alle Schriften in digitaler Form vorliegen - bis auf wenige Ausnahmen alles Download-Schriften. Mir fehlen noch etwa fünf Schriften. Ein paar müsste ich allerdings kaufen, aber über 60 Euro gebe ich dafür nicht aus. wenn ich sie haben wollte. Warum, wird sich so mancher Leser fragen, warum habe ich soviele Schriften? Ich habe Freude daran, sie zu betrachten, mit ihnen zu experimentieren. Und ich benutze sie auch in meiner Sprüchesammlung. Da ist nämlich jeder Spruch in einer anderen Schrift. Bis jetzt habe ich etwa 600 Schriften installiert. So habe ich einen Ordner angelegt, der nennt sich Klassifizierte Fonts, darin befinden sich z.Zt. mehr als 3.000 Schriften. Schön sortiert nach Classic (mit Serifen), Fraktur (gebrochene Schriften), Modern (serifenlos), Schreib- und Handschriften, Versalien (Großbuchstaben), Zierschriften und Symbole. Natürlich habe ich auch eine gedruckte Übersicht aller installierten Schriften, das Schriftmusterbuch - mein ganzer Stolz - 15 Seiten DIN A4 hat es bis jetzt. Eigentlich ist es kein Buch im herkömmlichen Sinne, eher eine Lose Blattsammlung. Darin allein 158 Frakturschnitte - unglaublich! Darum ziert auch das Schriftmusterbuch den Titel Meine Lieblingsschriften. Von nahezu jedem Schriftschnitt - mit Ausnahme der Systemschriften - habe ich eine Seite ausgedruckt: Mit Fließtext, Interpunktion und in 48 Punkt.
Ich habe einmal alle Schriften aufgezählt, die wir damals hatten: Akzidenz Grotesk, Allright, Alpha, Alte Schwabacher, Arkona, Ariston, Baskerville, Block Berthold, Bodoni, Candida, Caslon Gotisch, Charme, Clarendon, Claudius, Delphin, Enge Holzschrift, Futura, Garamond, Headline Versal, Helvetica, Impressum, Jessen, Kabel, Kleist-Fraktur, Künstler Schreibschrift, Largo, Legende, Lichte Largo, Lichte Memphis, Liliput-Grotesk, Lithographia, Liturgisch, Manuskript Gothisch, Memphis, Mona Lisa, Mondial, Neuland, Neuzeit Grotesk, Optima, Palette, Permanent, Post Antiqua, Primadonna, Rainer Script, Rhapsodie, Salto, Schreibmaschinenschrift, Slogan, Sorbonne, Visite, Volta, Weiß Antiqua, Wilhelm Klingspor Gotisch.

Die digitalen Schriften sind aber auch nicht immer perfekt. Oft fehlen ihnen die Umlaute oder Satzzeichen. Dann eignen sie sich allenfalls für die Titelei, nicht aber für den Fließtext. Am Beispiel meiner Schriftmuster sieht man dies ganz deutlich. Man kann schon sagen, ich bin verliebt in Schriften - ganz besonders die Frakturschriften. Meine Lieblingsschrift war damals die Garamond in 14 Punkt. Heutzutage ist es die Toledo, die ich auch für meine Briefpost verwende. Apropos Briefpapier, heutzutage geht fast alles digital, die Schriften sind zumeist Times oder Arial, die Schönheit anderer Schriften bleibt auf der Strecke. Alles muss schnell schnell gehen, für Nostalgie ist kein Platz. Nicht mit mir! Ich bewahre die Tradition der Schwarzen Jünger solange es geht.